«Es gab auch Zeiten, wo wir nicht mehr wussten, ob Montag oder Freitag ist»

Daniel Camenisch war in den vergangenen zwei Jahren der kantonale Corona-Kommunikationsverantwortliche. Im Interview blickt er auf eine Zeit mit wenigen freien Minuten zurück und erzählt, wieso ihm das nichts ausmachte.

Der Kanton Graubünden setzte bereits früh in der Pandemie auf eine zentrale Kommunikationsstelle. Alle Medienanfragen und auch Fragen von Unternehmerinnen, aus Schulen und auch aus der Bevölkerung liefen über diese Kommunikationsstelle und die zugehörige Hotline. Zeitweise arbeiteten inklusive Hotline bis zu 50 Personen für eine geordnete Kommunikation in Sachen Corona nach aussen – in ruhigeren Zeiten war es aber auch nur eine Handvoll.

Konstant blieb während der ganzen zwei Jahre in diesem Bereich die Besetzung einer Stelle: Die Leitung der Kommunikationsstelle verantwortete Daniel Camenisch. Der Kommunikationsexperte und Krisenkommunikator schaut schaut zurück auf turbulente Tage, berichtet von seinen Erfahrungen mit den Medien und erzählt von schönen und weniger schönen Momenten in dieser Pandemie.

Herr Camenisch, auch wenn das Coronavirus weiter kursiert, ist man in der Schweiz am Freitag zur Tagesordnung übergegangen. Brechen damit auch für Sie ruhigere Zeiten an?

Daniel Camenisch: Ja, bezogen auf die Coronapandemie ziehen ruhigere Zeiten auf. Das ist gut so, denn die letzten zwei Jahre haben viel abverlangt. Von der Bevölkerung, der Politik, der Wirtschaft und von den Mitarbeitenden in der Krisenbewältigung.

Also haben Sie nun einfach andere Baustellen zu bearbeiten?

Nun steht die Bewältigung der Auswirkungen des Ukrainekrieges auf den Kanton Graubünden an. Hier habe ich ebenfalls die Leitung der Kommunikationsstelle übernehmen dürfen. Ich mag den hohen Entscheidungs- und Aktionsdruck. Zudem fliessen so die Erfahrungen aus der Kommunikation der Coronakrise in die Bewältigung der Auswirkungen des Ukrainekrieges ein.

Ist die Situation vom Stressfaktor her vergleichbar, was die Kommunikation anbelangt?

Krisen kommen meist unerwartet und haben die Eigenschaft, dass man nie weiss, was noch folgt. In der Coronakrise haben sich die Ereignisse oft innert Kürze überschlagen. Es war ein ständiger Lauf gegen die Zeit. Das Informationsbedürfnis der Bevölkerung und von Medienschaffenden war gross. Verglichen mit den vorhergehenden zwei Jahren, haben wir aktuell noch etwas mehr Zeit, um Prozesse und Informationen aufzubereiten.

Wenn Sie im Zusammenhang mit Corona von zeitlichem Druck sprechen, ist damit wohl unter anderem die Reaktion auf Bundesratsentscheide gemeint?

Zum Beispiel. Wir hatten teilweise mehrere Tage, bevor überhaupt bekannt war, ob überhaupt und in welcher Form der Bundesrat informiert, schon Medienanfragen dazu. Meistens erhielten sowohl Bevölkerung und Medien als auch wir als kantonale Institution, die Informationen über Entscheide zum gleichen Zeitpunkt. Der fehlende Zeitvorsprung auf der einen und die hohen Erwartungen von Bevölkerung und Medien auf der anderen Seite, waren eine Belastung. Unsere Aufgabe bestand darin, die erhaltenen Informationen mit dem Kantonalen Führungsstab zu analysieren, die Bedeutung von Änderungen – etwa von Coronamassnahmen – für den Kanton Graubünden zu eruieren und kantonale Massnahmen abzuleiten. Oft mussten gesetzliche Grundlagen geschaffen werden, wir mussten Übersetzungen aufgleisen und die Neuigkeiten in verständlicher Form vermitteln.

«Es gab Tage, wo sich die Ereignisse im Zehn-Minuten-Takt überschlagen haben.»

Können Sie sich an einen Tag erinnern, an dem es auf der Kommunikationsstelle besonders drunter und drüber ging?

Im letzten Jahr war das die Regel. Ich bedaure heute, dass ich diesbezüglich kein Tagebuch geführt habe (lacht). Es gab Tage, an denen sich die Ereignisse im 10-Minuten-Takt überschlagen haben. Und ich dachte immer: Dieses Erlebnis werde ich nicht vergessen. Aber da es viele dieser Tage gab, an denen man von einem Ort zum nächsten rannte, wurden Ereignisse vorhergehender Tage in den Hintergrund verdrängt. Besonders der Winter vor einem Jahr war allgemein sehr intensiv. Die Betriebstests wurden eingeführt, die Schultestungen kamen hinzu und gleichzeitig lief die Impfkampagne an. Ausserdem wurden die Covid-Zertifikate eingeführt und die Einreisebestimmungen laufend angepasst.

Inwiefern waren diese neuen Gegebenheiten stressig für Sie?

Ich möchte es nicht schönreden, doch stressig würde ich es nicht nennen. Wichtig war einen kühlen Kopf zu bewahren und in allen Bereichen – etwa bei der Kommunikation nach innen, bei den Betriebs- und Schultestungen, bei den Impfungen, bei den Covid-Zertifikaten und der Öffentlichkeitsarbeit – mitzudenken. So gab es ständig neue Herausforderungen. Zeitweise sind wir von einer Krisenkommunikation zur nächsten geeilt.

Dementsprechend gab es wohl auch nicht einen klassischen Tagesablauf?

Nein, vorausplanen ist in so einer komplexen Krise schlicht unmöglich. Nebst den Alltagsaufgaben kamen laufend unangekündigte Aufgabestellungen dazu. Es gab auch Zeiten, in denen wir nicht mehr wussten, ob Montag oder Freitag und ob es Morgen oder Abend war. Zeitweise haben wir bis spät in die Nacht gearbeitet. Als Beispiel zwischen Weihnachten 2020 und Neujahr 2021 – kurz bevor der Kanton Graubünden die Flächentests in Südbünden lanciert hat. Wir hatten eine kurze Vorlaufzeit, die Inhalte für die Flächentests zu konzipieren, die Kommunikation aufzubereiten und die Bevölkerung zu mobilisieren. Es war aber auch eine enorm spannende und lehrreiche Zeit. Ich mag die dynamischen und komplexen Momente.

Wenn Sie von wir sprechen, wer gehörte da alles zum Team?

Wir hatten ein eingespieltes Team, das in dieser Zeit agiert hat. Von Übersetzern über Grafiker und Webprogrammierern bis zu Kommunikationsfachleuten.

«Am Anfang war eine grosse Solidaritätswelle zu spüren, gegen Schluss, dass der soziale Frieden gelitten hat.»

Zwei Jahre lang im Krisenmodus zu sein, das stecken wohl nicht alle einfach so weg. Gab es Momente, wo Sie sich überlegt haben, den Bettel hinzuschmeissen?

Diese Frage hat sich nie gestellt. Es war eine intensive Zeit und wir haben einfach funktioniert. Immer mit dem Anspruch, in dieser hektischen Zeit alles nach bestem Wissen und Gewissen zu machen. Wir sind aber auch zur Erkenntnis gelangt, dass gewisse Dinge nicht so angekommen sind, wie wir das beabsichtigt hatten. Oder, dass die Erwartungshaltung – etwa von Medienschaffenden – nicht immer befriedigt werden konnte. Überlegungen den Bettel hinzuschmeissen, hat es aber nie gegeben.

Sie sprachen die Rolle der Medien an. Was war in der Zusammenarbeit mit den Medien die grösste Herausforderung?

Die Zusammenarbeit war immer konstruktiv partnerschaftlich. In Krisen brauchen wir die Medien für die Verbreitung von Informationen. Medien hingegen brauchen uns für die Inhalte. Das hat im Grossen und Ganzen gut funktioniert. Trotz den vielen Anfragen, die bearbeitet wurden. Teilweise hatten wir auf der Corona-Hotline 900 Anrufe pro Tag – oder wahrscheinlich noch mehr, wir konnten einfach nicht mehr entgegennehmen. Und es gab Zeiten, wo wir bis zu 200 Medienanfragen pro Tag bearbeitet haben. Teils brauchte es noch Recherchen, Datenaufbereitungen oder Koordinationen, bevor wir eine Auskunft geben konnten. Deshalb war es nicht immer einfach, Interviewtermine innert kurzer Zeit zu koordinieren und stets allen Bedürfnissen der Medienschaffenden gerecht zu werden.

Bei welchem Ereignis kamen 200 Medienanfragen?

Der Peak war da, als es zu Fallhäufungen in St. Moritz oder auch in Arosa kam. Da fragten teilweise auch internationale Medien an. Ich finde es allgemein spannend, wie sich die Berichterstattung in den zwei Jahren verändert hat. Zu Beginn gab es Berichte zu einem einzelnen Fall, der im Kanton aufgetreten ist inklusive Nachfragen, wo sich die Indexperson das Virus eingefangen hat. Und heute haben wir schweizweit täglich mehrere Tausend Infektionen und es wird fast schulterzuckend zur Kenntnis genommen.

«Wir mussten einfach funktionieren.»

Wie fällt Ihre Bilanz zur Zusammenarbeit mit den zahlreichen Personen beim Kanton und sonstigen unterstützenden Kräften aus?

Für mich ist eindrücklich, dass viele Personen, allesamt zusammengewürfelt, in dieser fordernden Zeit als Team funktioniert haben. Dies, obwohl die Organisationsstruktur laufend der Lage angepasst wurde. Die Zusammenarbeit im Team hat Spass gemacht und das Miteinander im Führungsstab, mit der Regierung oder den zahlreichen Verbundspartnern, war konstruktiv und von Vertrauen geprägt. Schliesslich hatten wir alle dasselbe Ziel: möglichst schnell aus dieser Krise kommen. Generell bin ich froh, im Kanton Graubünden leben zu dürfen. Also in einem Kanton, indem die Regierung zum Schutz von Bevölkerung und Wirtschaft geschlossen zusammengestanden ist, wenn notwendig gar unpopuläre Entscheide getroffen und unbekannte Wege in der Bewältigung der Pandemie entwickelt hat.

Dauerte es trotzdem zu Beginn der Pandemie eine Zeit lang, bis sich das neu zusammengewürfelte Team gefunden hat?

Das ging im turbulenten Alltag schnell. Die Herausforderung war mehr, dass sich die Organisationsstruktur – damit meine ich nicht nur in der Kommunikation – ständig verändert hat. Zeitweise standen 100 und manchmal auch über 300 Personen im Einsatz. Die Struktur wurde laufend der Lage entsprechend reorganisiert. In einem so lebendigen Strukturprozess war es manchmal nicht ganz einfach, klare Prozesse, Aufgaben und Zuständigkeiten zu definieren. Rückblickend zählt wohl das Resultat. Und ich finde, der Kanton hat die Aufgaben in der Bewältigung der Pandemie im Verbund mit den Gemeinden, Schulen, Gesundheitsinstitutionen, Branchen- und Wirtschaftsverbänden sowie Partnern aus Wissenschaft gut gemeistert.

Sie haben vorhin unpopuläre Entscheide angesprochen: Hatte die Kommunikationsstelle auch mit Hassmails zu kämpfen?

Für mich war interessant zu beobachten, dass wenn’s ums Testen ging, man froh und stolz war, den Bündner Weg zu gehen. Dort hatten wir auch viel Goodwill – auch wenn nicht immer alles gelungen ist und wir unsere Erfahrungen sammeln mussten. Aber dort hiess es dann meistens von aussen: kein Problem! Zum Thema Impfen hingegen gab es teils starke Fronten. Die haben wir auch zu spüren bekommen. Die negativen Rückmeldungen sind oft die lauten und die unangenehmen. Über alles gesehen war die Mehrheit der Rückmeldungen positiv und dankbar.

Hat sich der Tonfall von aussen zum Teil auch etwas geändert?

Ganz klar. Zu Beginn war eine grosse Solidaritätswelle spürbar, gegen Schluss hat der soziale Frieden stark gelitten. Die kompromisslosen Fronten, die dabei entstanden sind, waren wir uns in der Schweiz und im Kanton Graubünden bisher nicht gewohnt. In der Kommunikation waren wir immer bemüht, die Anliegen von beiden Seiten aufzunehmen, um gegenseitiges Verständnis zu schaffen. Deshalb haben wir bis auf einzelne Ausnahmen, die massiv unter der Gürtellinie waren, auf alle Nachrichten geantwortet.

Würden Sie, wenn Sie die Uhr zwei Jahre zurückdrehen könnten, das Amt als Leiter Krisenkommunikation erneut übernehmen?

Ja definitiv, das ist mein Traumjob. Ich liebe die Facetten der Krisenkommunikation. Deshalb habe ich auch die Kommunikation im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg gerne wieder übernommen. Im Wissen, dass meine Lebenspartnerin den zeitlichen Anspruch und die ständige Verfügbarkeit, die der Job mit sich bringt, mitträgt und mir den Rücken stärkt. Dafür bin ich ihr dankbar.

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